Im Gespräch mit Dirk Reinink und Gerd Wermerskirch
Über Dirk Reinink
Dirk Reinink ist Soziologe und leitet seit 7 Jahren verschiedene Projekte zu Themen wie Mitbestimmung in Betrieb und Ausbildung, Organisierung, Jugendbeteiligung und Diskriminierungsprävention. Freiberuflich arbeitet er als Trainer zu Themen wie Rassismus, Asylpolitik, Antisemitismus, Kritische Theorie, Ökonomie & Arbeit, Mentoring und Care-Arbeit.
Über Gerd Wermerskirch
Gerd Wermerskirch ist Diplom-Politologe, Senior Project Manager (IPMA® Level B), akkreditierter PM-Trainer der GPM e. V. und Großgruppenfacilitator. Mehr über Gerd Wermerskirch erfahren Sie hier: www.argo-team.de
Im Gespräch mit Dirk Reinink und Gerd Wermerskirch sprachen wir über Demokratieförderung im ländlichen Raum und den Nutzen der externen Fachberatung für ein Modellprojekt zur politischen Beteiligung von Jugendlichen.
Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Herr Reinink, Sie koordinieren das Modellprojekt „Organize! Gegen Rassismus und Ausgrenzung“ im Norden Brandenburgs. Können Sie uns kurz skizzieren, was die Zielsetzungen und größten Herausforderungen Ihres Modellprojekts sind?
Dirk Reinink: Der Name des Projektes stellt eigentlich ganz gut dar, worum es geht. „Organize“ steht für den Ansatz, dass Kinder und Jugendliche sich selbst organisieren, um ihre Interessen zu vertreten. „Gegen Rassismus“ bedeutet, dass sie sich organisieren wollen, um was gegen Rassismus zu tun und sich kritisch mit sich und ihrer Umwelt auseinandersetzen. „Gegen Ausgrenzung“ zu sein, führt dann im Umkehrschluss dazu, dass die rassistisch Ausgegrenzten einbezogen werden. Wenn das alles erfolgt ist, ist das Ziel erreicht. Die Herausforderung ist der Weg dahin. Dabei ist die größte Herausforderung der gesellschaftliche Trend, der gegen uns arbeitet. Mit einem antirassistischen Ansatz stößt man im Moment auf viel Skepsis, insbesondere wenn es um reale Machtfragen geht. Geben Erwachsene Macht an Kinder und Jugendliche ab, werden Bedürfnisse von rassistisch Ausgegrenzten ernst genommen. Für uns ist die Zusammenarbeit mit der „Erwachsenenwelt“ deutlich schwieriger als begeisterte Kinder und Jugendliche zu finden.
Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Herr Wermerskirch, Sie kamen als Fachberater der Qualitätswerkstatt Anfang 2019 zu Herrn Reininks Modellprojekt und kennen die Gegebenheiten im Land Brandenburg aus Ihrer eigenen Zeit als Mobiler Berater gegen Rechtsextremismus gut. Wie hat Ihnen diese Expertise bei der Konzeption der Fachberatung geholfen?
Gerd Wermerskirch: Gar nicht. Die Expert*innen vor Ort wissen sowieso immer mehr als ein Beratender von außen. Was als Vorwissen geholfen hat, war eine unmittelbare Prozessbegleitung im Kontext der Qualitätsentwicklung in der Jugendarbeit zur Vernetzung vor Ort, den wir als ARGO-Team 2017 und 2018 im Auftrag des Jugendamtes im Landkreis Ostprignitz-Ruppin begleiten durften. Die Ergebnisse dieses Prozesses wirkten sich inhaltlich und personell unterstützend für die Neuauflage bzw. vertiefende Weiterführung des Vorhabens aus. Das war aber ein zufälliges Zusammentreffen. Dadurch hatte ich einen strukturellen Wissensvorsprung und hatte konkrete Personen auch vor Ort im Kopf, statt nur abstraktes Wissen.
Ansonsten helfen mir bei der Beratung tatsächlich meine fundierten Kenntnisse und Methoden im Projektmanagement weiter. Es ist sicher nützlich, dass ich mich seit 1999 in den entsprechenden Programmkontexten in unterschiedlichsten Rollen der Beratung bewege. Dabei haben wir u. a. unabhängig vom Programmkontext mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und der DGB Jugendbildungsstätte einen umfangreichen und sehr nachhaltigen Zukunftskonferenzprozess 2006 in Rheinsberg und seinen Ortsteilen begonnen und im Programmkontext bis 2010 mitgestalten dürfen. Dadurch brauchten mir die Kolleg*innen vor Ort nicht viel zur Situation erklären – sie konnten mich eher updaten. Meine 4-jährige Tätigkeit als Mobiler Berater in Brandenburg waren da ja nur der gute Anfang.
Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Herr Reinink, zentrales Element Ihres Projektvorhabens ist die Erfahrung politischer Selbstwirksamkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Flecken Zechlin liegt in einer Region, die im Bundesprogramm als „ländlicher Raum“ bezeichnet wird. Welche Erfahrungen haben Sie in diesem Zusammenhang gemacht und was haben Sie Neues gelernt?
Dirk Reinink: In kleineren Kommunen wird viel über persönliche Nähe und Beziehungen entschieden. Wenn ich in Flecken Zechlin die Presse einlade, dann kommt die. Früher habe ich in Berlin gearbeitet. Wenn du da als kleiner Verein eine Pressemitteilung verschickst, gehst du im Strom der Nachrichten unter. Und das wiederholt sich in vielen anderen Bereichen. Gleichzeitig leidet die Ostprignitz unter Abwanderung. Wir bauen hier Jugendbeteiligungsstrukturen auf und sobald die Jugendlichen 18 werden, gehen viele weg.
Qualitätswerkstatt Modellprojekte: In Ihrer Fachberatung ging es u. a. um die Verstetigung Ihrer Projektarbeit zur Jugendbeteiligung im Kreis Ostprignitz-Ruppin. Welche Perspektiven haben sich Stand jetzt mithilfe der Fachberatung für Sie und Ihre Mitstreiter*innen ergeben?
Dirk Reinink: Unsere vorhandenen Jugendbeteiligungsprojekte werden weitergeführt. Die Zusammenarbeit mit Gerd war wichtig, damit wir uns im Team darüber verständigen konnten, was wie und unter welchen Bedingungen weitergehen kann. Erhalten wir größere Anschlussfinanzierungen, können wir uns weiterentwickeln. Fallen die Stellen von Bildungsreferent*innen und Projektleitung weg, werden unsere Sozialpädagog*innen das alleine – in abgespeckter Form – weitermachen. Als DGB Jugendbildungsstätte ist es uns politisch zu wichtig, in der Region Mitbestimmung zu organisieren, als dass wir ein solches Projekt einfach beerdigen. Aber klar ist auch, dass Ansprüche sinken müssen, wenn das quasi nebenbei erledigt werden muss. Gerd hat uns Strategien gezeigt, wie wir das Ziel – mit unseren Ideen räumlich und inhaltlich zu expandieren – erreichen können.
Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Zum Abschluss eine Frage an Sie beide: Aus ihrer Erfahrung im Bereich der Demokratieförderung – welchen Stellenwert haben methodisch-überfachliche Begleitangebote wie die der Qualitätswerkstatt für die Projektarbeit vor Ort?
Gerd Wermerskirch: Sie sind enorm wichtiger Reflexions- und individualisierter Entwicklungsraum für die Projekte. In den anderen Säulen bekommen wir ja mit, dass es eine sehr produktive Vernetzung der Strukturprojekte gibt, in deren Rahmen die Kolleg*innen nachdenken und sich mit ihren Arbeitsansätzen, u. a. über die Diskussion zu Qualitätsstandards, weiterentwickeln können. Bei Modellvorhaben geht es zwar auch um Vernetzung, aber hier eher vor Ort. Und es fehlt den Leuten – so mein Eindruck – manchmal der Perspektivwechsel und die Qualitätsdebatte. Die GesBiT hat mit der Qualitätswerkstatt versucht diese Lücke zu schließen. Ich denke es ist ein super guter erster Ansatz gewesen. Eine Verstetigung in der nächsten Förderperiode und eine möglicherweise kontinuierlichere Projektbegleitung und Beratung wären die logischen nächsten Schritte. Dass es dieses Angebot der GesBiT gibt, ist ein kluges und durchdachtes Angebot in dieser Förderperiode.
Dirk Reinink: Ein Programm wird nur dann zum Programm, wenn es eine gemeinsame Klammer gibt. Sonst sind es hunderte geförderte Einzelmaßnahmen. Die Begleitangebote helfen mir den Blick vom Alltagsgeschäft heben zu können und noch einmal konzeptionell zu denken. Dabei sollte die Überprüfung der eigenen Konzepte zu einer guten Arbeit dazugehören. Häufig genug verhindert der Tagesstress die Weitung des Blicks. Begleitangebote geben immer wieder Impulse, das nicht zu vergessen. Besonders positiv finde ich die Wertschätzung, die wir als Projekte dadurch erfahren.
Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Herr Reinink, Herr Wermerskirch, wir danken Ihnen für das Gespräch!