Modellprojekte stärken und unterstützen

Im Gespräch mit Martin Rüttgers

Über Martin Rüttgers

Martin Rüttgers, Dipl.-Politologe, lebt und arbeitet in Bad Honnef. Als Leiter des Instituts für Politikberatung & Forschung berät er seit 15 Jahren Kommunen, Ministerien und Verbände zu Demokratiestärkung, Bürgerschaftlichem Engagement und Bürgerbeteiligung. In seinen Veröffentlichungen werden u. a. die Forschungsthemen Netzwerke (der Engagementförderung), Bürgerkommunen und Strategien gegen Rechtsextremismus analysiert. Ehrenamtlich ist er aktiv als Mitglied des Stiftungsrats der Bürgerstiftung Köln sowie im Netzwerkrat des bundesweiten Netzwerks Bürgerbeteiligung. Weitere Informationen: www.politikberatung-ruettgers.de.

Im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ engagiert er sich u. a. im Rahmen der Qualitätswerkstatt Modellprojekte (QMP) als externer Fachberater für die geförderten Modellprojekte.

Im Gespräch mit Martin Rüttgers sprachen wir darüber, wie Nachhaltigkeit in Projekten der Demokratieförderung gelingen kann und welche Aspekte dabei zu berücksichtigen sind.

Qualitätswerkstatt Modellprojekte: In vielen Lebensbereichen wird mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ gearbeitet, sodass dieser Ausdruck zunehmend inflationär daherkommt. Wie definieren Sie den Begriff „Nachhaltigkeit“ aus Ihrem Erfahrungskontext und konkret für den präventiv-pädagogischen Bereich in der Demokratieförderung?

Martin Rüttgers: Sie haben Recht, die inflationäre Verwendung des Begriffs „Nachhaltigkeit“ in Politik und Wirtschaft nimmt fast schon absurde Züge an. Aus meinem Erfahrungskontext in der Beratung und Kooperation mit Kommunen sowie Projektträgern habe ich daher ein 3-Säulen-Modell entwickelt, das Nachhaltigkeit in drei Dimensionen zu fassen versucht. Die erste Säule trägt die Überschrift ‚Transfer & Vernetzung‘. Hier geht es im Wesentlichen darum, Erfolge und Ergebnisse von Modellprojekten auf andere Bereiche einer Organisation bzw. Kommunalverwaltung zu übertragen sowie ggf. den Transfer entsprechender Kompetenzen auf Kooperationspartner*innen zu organisieren. Dies erfordert natürlich eine gute Netzwerkarbeit sowie Kenntnisse der Methoden von Netzwerkmanagement.

Säule 2 ist tituliert mit ‚Finanzierung & Fundraising‘. Dies ist für mich die offensichtlichste Dimension von Nachhaltigkeit, denn unzureichende finanzielle Ressourcen schweben ja leider allzu oft wie ein Damoklesschwert über vielen erfolgreichen Projekten der Demokratieförderung. So macht es Sinn, zum richtigen Zeitpunkt während der Projektlaufzeit interessierte Projektträger zu beraten und zu sensibilisieren, ausreichende und notwendige Ko- oder Anschlussfinanzierungen zu sichern. Die breite Palette an Fundraising-Methoden sowie ein Überblick über mögliche Förderinstitutionen im Spektrum der Demokratiestärkung spielen hierbei eine zentrale Rolle.

‚Partizipation & Teilhabe‘ skizziert als dritte Säule einen in meinen Augen besonders wichtigen Aspekt von Nachhaltigkeit, nämlich die Mitarbeitenden sowie wichtige Stakeholder einer Organisation gut zu involvieren und für die Ziele einer nachhaltigen Organisationsentwicklung zu qualifizieren. Es macht ja wenig Sinn, die Sicherung von Nachhaltigkeit quasi „outzusourcen“ an eine einzige Fachstelle für Fundraising, die dann für eine nachhaltige Projektumsetzung zuständig ist. Erfolgreiche Crowdfunding-Projekte oder Anti-Rassismus-Kampagnen belegen ja, wie wichtig die ideelle und finanzielle Beteiligung von Vereins-Mitgliedern, Spender*innen oder weiteren Stakeholdern ist, um demokratiestärkende Projekte vor Ort umzusetzen.

Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Staatlich geförderte Modellprojekte werden von Beginn an dazu angehalten, ihre Ergebnisse auf andere Träger- und Förderbereiche zu übertragen. Da schwingt per se eine nachhaltige Arbeitsweise mit. Welche strategischen Tipps können Sie Teams von Modellprojekten mit auf den Weg geben?

Martin Rüttgers: Den besten Überblick über die Abteilungen, Träger- und Förderbereiche einer Organisation haben in der Regel die Geschäftsführer*innen der Trägerorganisation. Daher macht es viel Sinn, die Verbandsleitung mit den Mitarbeitenden des Modellprojektes rechtzeitig in Kontakt zu bringen, und zwar nicht nur zur Unterschrift unter den bereits fertigen Projektantrag, sondern z. B. im Rahmen einer Projekt-Zwischenbilanz oder eines Workshops zur Selbstevaluation. Dort kann die Geschäftsführung überlegen, ob und inwieweit die im Modellprojekt zur Demokratiestärkung erzielten Ergebnisse tatsächlich übertragbar sind auf andere Bereiche und Abteilungen des Verbandes. Zweitens kann die Geschäftsführung eines Verbandes besonders gut einschätzen, ob es Sinn macht, Kooperationspartner*in X bzw. Förderstiftung Y gezielt anzusprechen, um einzelne Bausteine und Module eines Modellprojekts zusätzlich durch flankierende Finanzmittel zu unterstützen.

Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Sie beraten seit geraumer Zeit Kommunen in ihrer Entwicklung und Umsetzung einer kommunalen Strategie zur Demokratieförderung. Welche Elemente der Nachhaltigkeit haben die handelnden Akteure vor Ort überzeugt?

Martin Rüttgers: In den von mir begleiteten Kommunen, die seit 2015 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen „Partnerschaften für Demokratie“ (PfD) mit Hilfe des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ entwickeln, konnte das 3-Säulen-Modell in unterschiedlicher Intensität in die Praxis umgesetzt werden. Besonders bewährt hat es sich, Vertreter*innen aus Stiftungen und Wirtschaftsunternehmen aus der Region als stimmberechtigte Mitglieder für den lokalen Begleitausschuss zu gewinnen. In den vielen Fällen, in denen Bundesmittel zur Förderung von Projektträgern nicht ausreichen, unterstützen dann diese Wirtschaftsvertreter*innen immer wieder mit flankierenden Beträgen und ergänzen damit die Finanzierung von Demokratieprojekten vor Ort. Auch hat es sich bewährt, für die begleiteten PfD sogenannte „Förder-Broschüren“ zu erstellen, die regionale und überregionale Förderinstitutionen im Bereich Demokratieförderung/Extremismusprävention mit ihren Förderkriterien dokumentieren. Drittens hat es sich in allen PfD als strategisch erfolgreich herausgestellt, mit Akteur*innen „benachbarter“ Programme wie z. B. Landesprogramme gegen Rechtsextremismus (z. B. „NRWeltoffen“) oder auch EU-Programme wie LEADER zu sondieren, inwieweit man gemeinsam mehr erreichen kann. Mit Blick auf den Transfer von guter Projektpraxis haben wir zudem eine regionale Vernetzung von PfD selbst organisiert, um im kollegialen Austausch Erfolge und Rückschläge bei der nachhaltigen Verankerung der lokalen PfD zu erörtern.

Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Organisationen möchten Angebote aus der Modellprojektförderung verstetigen. Dabei spielt das Projektumfeld eine zentrale Rolle. Welche Maßnahmen bzw. Aktivitäten sind neben einer finanziellen (Weiter-)Förderung erfolgsversprechend?

Martin Rüttgers: ‚Finanzierung und Fundraising‘ bilden ja nur die eine Säule meines Nachhaltigkeits-Modells. Die beiden anderen zentralen Aspekte – ‚Transfer & Vernetzung‘ sowie ‚Partizipation & Teilhabe‘ – unterstützen auf dem Weg hin zum langfristigen Erfolg einer Organisation. Eine wichtige Maßnahme innerhalb der Säule ‚Transfer & Vernetzung‘ ist die Stakeholder-Analyse. Hier diskutieren die Projektverantwortlichen über einflussreiche Akteur*innen (Ministerien, Unternehmen, Verbände, Stiftungen, Vereine, Initiativen, Einzelpersonen etc.) sowie aktuelle und potenzielle Kooperationspartner*innen unter dem Gesichtspunkt, inwieweit diese relevant sind für die weitere Entwicklung des Modellprojektes. Die Ergebnisse der Diskussion werden dann visualisiert, sodass die Projektleitungen auf dieser Basis besser wissen, welche Akteur*innen mit welchen Kooperationsangeboten angesprochen werden können. Diese Stakeholder-Analyse lässt sich kombinieren mit einer vorab durchgeführten SWOT-Analyse, die die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken des Modellprojektes analysieren hilft. Grundsätzlich bin ich ein großer Freund von derartigen Methoden der Selbstevaluation, weil ein ehrlicher Blick auf die eigenen Stärken und Schwächen die Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Projektentwicklung ist.

Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Welche Rahmenbedingungen sollten Modellprojekte selber, z. B. durch ihre Netzwerkarbeit, schaffen, um eine nachhaltige Projektarbeit zu ermöglichen?

Martin Rüttgers: Netzwerkarbeit wird im Kontext von Modellprojekten immer wichtiger. Durch die Mitarbeit oder Mitgliedschaft in Netzwerken, Bündnissen oder Allianzen (gegen Rechtsextremismus) erlangen Projektträger wichtige Kompetenzen und Informationen, die die Zukunft des eigenen Modellprojektes beeinflussen. So erhält man z. B. als Mitglied eines Beratungsnetzwerks gegen Rechtsextremismus Informationen zu Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen, um die Nachhaltigkeit seines Modellprojektes abzusichern. Darüber hinaus kann in solchen Netzwerken sondiert werden, welcher Verband oder welche Stiftung ggf. als Kooperationspartner*in in Frage kommt, um im Rahmen einer neuen Ausschreibung gemeinsam einen Projektantrag erfolgreich zu stellen. Auf der anderen Seite lauert aber die Gefahr des Verstrickens und Verzettelns in bestehenden oder auch neuen Netzwerken: In den letzten Jahren sind ja eine ganze Reihe neuer Netzwerke und Bündnisse gerade im Bereich Demokratieförderung und Extremismusprävention entstanden, sodass genau überlegt werden sollte, wo die Mitwirkung tatsächlich einen Mehrwert für die eigene Organisation erzielen hilft. Oder aber umgekehrt: Dort, wo ein Projektträger viel Zeit und Energie sowie Know-how zur Verfügung stellt, dann aber nach der 7. Sitzung eines Netzwerkbeirats merkt, dass wenig bis nichts an Benefit für das eigene Modellprojekt generiert werden konnte. Daher rate ich meinen Auftraggeber*innen in Kommunen und Verbänden, stets zu überprüfen, mit welchem Ziel die Mitwirkung in den jeweiligen Netzwerken verbunden wird und ob das Verhältnis aus „Geben und Nehmen“ beim Networking in einer ausgewogenen Relation steht.

Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Vielen Dank für das Gespräch!

Mehr zum Drei-Säulen-Modell erfahren Sie hier: Nachhaltigkeit in der Projektarbeit - Modelle / Strategien / Gute Praxis; Martin Rüttgers