Im Gespräch mit Sandra Kleideiter
Über Sandra Kleideiter, Prozessbegleiterin und Beraterin
Sandra Kleideiter ist freiberufliche Prozessbegleiterin, Beraterin und Moderatorin. Sie studierte an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster Diplom-Pädagogik mit dem Schwerpunkt „Außerschulische Jugendarbeit und Erwachsenenbildung", hat Zusatzausbildungen im Bereich systemisches Coaching, Change- und Sozialmanagement. Seit 2003 sammelte sie Erfahrungen als Referentin. Bei der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge und im Jugendhaus Düsseldorf, eine Bundesfachstelle und Zentralstelle für Jugendfragen, war sie als Bundestutorin von 2007 bis 2015 angestellt und für die Bereiche der Politischen Bildung, Internationale Jugendarbeit und Europa zuständig. Mit „plan BeE – Beratung und Expertise“ begleitet und berät sie Non-Profit-Organisationen. Schwerpunkte ihrer Fachberatung sind u. a. Projektmanagement, Organisationsentwicklung & Personalmanagement, Netzwerk- & Zielgruppenarbeit, Qualitätsentwicklung & Nachhaltigkeit.
Für die Arbeitshilfe „Zielgruppenerreichung und ‑bindung“ hat sie einen Praxisbericht beigesteuert und ist beim gleichnamigen Workshop Inputgeberin gewesen. Zudem ist sie für die Qualitätswerkstatt als externe Fachberaterin tätig.
Im Gespräch berichtet Sandra Kleideiter von ihren Erfahrungen mit der Bindung von Zielgruppen.

Qualitätswerkstatt Modellprojekte: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“ waren Schillers Worte. Frau Kleideiter, Sie sind als Beraterin in Non-Profit-Organisationen unterwegs. Wie oft werden Sie in Ihrer Praxis mit der Frage der Zielgruppenbindung konfrontiert?
Sandra Kleideiter: In der Praxis erlebe ich oft, dass die Projektträger sich viele Gedanken zur Zielgruppenerreichung und der -ansprache machen. Bei der Frage der Bindung dieser Zielgruppe an die eigenen Angebote sind oft weniger Ideen vorhanden. Oft spüre ich auch Resignation und Frust, da angewendete Überlegungen in der Umsetzung nicht zum erwünschten Ziel führen. Diese „Fragezeichen“ in der Praxis bestehen auch in der Fachtheorie. Insgesamt ist die Frage der Zielgruppenbindung in Handreichungen und auch in der Wissenschaft für den Bildungssektor noch unterrepräsentiert.
Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Sie waren lange Jahre in der Praxis tätig und mussten Ihre Teilnehmenden erreichen und manchmal auch versuchen zu binden. Was ist das Schwierige daran?
Sandra Kleideiter: Ja, das stimmt. Ich war lange vor meiner Tätigkeit als Beraterin als Referentin in der Jugend-, Erwachsenen- und Familienbildung tätig. Dabei habe ich schnell die Erfahrung gesammelt, dass offene Ausschreibung alleine wenige Teilnehmende in meine Veranstaltung gebracht haben. Kooperation war das Schlüsselwort. Ich habe gezielt die Kontakte zu Schlüsselpersonen gesucht, die Zugang zu meiner anvisierten Zielgruppe hatten. Diese dann zu binden war oftmals wirklich schwierig. Die eine hatte keine Zeit aus beruflichen Gründen, der andere engagierte sich bereits in Verbänden und anderen Initiativen. Einige wollten keine verpflichtende Bindung eingehen. Jugendliche zogen weg, weil sie einen Studienplatz oder eine Ausbildung in anderen Orten bekamen. Monatliche oder quartalsmäßige Stammtischformate z. B. funktionierten dann nicht mehr, weil die Fluktuation zu groß war und andere Termine höhere Priorität hatten.
Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Hat es mal funktioniert?
Sandra Kleideiter: Ja, das hat es. Ich kann mich vor allem an einen Familienkreis erinnern, mit dem ich über 5 Jahre kontinuierlich zusammengearbeitet habe. Die Familien kamen wieder, weil sie sich untereinander kannten. Neue kamen hinzu, nicht durch meine Werbung, sondern durch deren Initiative. Sie fühlten sich wohl in der Gruppe, sie kannten und mochten den Tagungsort und freuten sich, mich wieder zu sehen.
Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Sie waren doch selber auch Teilnehmerin von Bildungsangeboten. Wann binden Sie sich gerne?
Sandra Kleideiter: Meine Beweggründe sich zu binden, sind immer wieder unterschiedlich. Sie hängen in der Tat von so vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Das macht es ja so schwer, eine Zielgruppe zu analysieren und Erfolgsfaktoren zur Bindung zu finden. Ein Faktor trifft dann vielleicht auch nur auf eine*n meiner Teilnehmenden zu. Ich habe als Jugendliche Anfang der 90er das erste Mal an einem offenen, ausgeschriebenen Seminar teilgenommen. Ich kannte das Bildungshaus flüchtig und habe mich alleine zu einem politischen Jugendbildungsseminar mit dem Titel „Gewalt in der Demokratie“ angemeldet. Dabei hatte mich weniger das Thema interessiert als das Bewusstsein, ein Wochenende alleine ohne meine Eltern unterwegs zu sein. Ich habe danach tatsächlich an mehreren Veranstaltungen des Trägers teilgenommen. Darüber hinaus hat bei mir über diese Seminarerfahrung eine nachhaltige Bindung an die Politische Bildung stattgefunden. Heute berate ich übrigens das Bildungshaus, in dem ich dieses erste Seminar als Teilnehmerin besucht hatte.
Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Ihr Ziel damals war, von zu Hause raus zu kommen? Das Projekt und das Thema standen bei Ihrer Motivation, teilzunehmen, also nicht im Vordergrund. Wie wichtig ist denn die Zielgruppenbindung überhaupt?
Sandra Kleideiter: Ja, es hilft tatsächlich, sich die Frage im Projekt zu stellen, warum möchte ich meine Zielgruppe an das Projekt binden? Brauche ich eine Gruppe von Menschen, die weiterführend an einem Thema arbeiten? Brauche ich die Belegzahlen? Ist es weniger aufwendig alte statt neue Teilnehmende zu gewinnen? Die Frage ist wichtig, um sich zu vergewissern, ob ich wirklich eine Bindung meiner Zielgruppe benötige? Was sind die Vorteile? Biete ich z. B. Veranstaltung als eine Art Fortbildung an, ist es aus unterschiedlichen Gründen sinnvoll mit einer festen Gruppe zusammenzuarbeiten. Wenn ich innerhalb meines Projektes eine Vernetzung mit meinen Multiplikator*innen des Projektes benötige (z. B. die klassischen Teamenden) brauche ich Formen des kontinuierlichen Austausches mit möglichst vielen des Netzwerkes. Hier brauche ich gute Ideen und Strategien der Bindung. Möchte ich möglichst eine hohe Anzahl von (unterschiedlichen) Personen erreichen, damit viele als Multiplikator*innen weiter agieren können, so brauche ich nicht zwingend eine Bindung.
Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Was ist, wenn Bindung nicht funktioniert, sie aber für das Projekt wichtig wäre? Sandra Kleideiter: Dann braucht es Alternativen. Alternativen für eine nachhaltige Zusammenarbeit mit meiner Zielgruppe. Hierzu bedarf es einer guten Analyse, warum die Bindung nicht funktioniert hat. Dabei ist eine Eigenwirksamkeitseinschätzung hilfreich. Sicherlich gibt es Rahmenbedingungen, die ich nicht alleine verändern kann, die gegenwärtig nicht veränderbar sind. Hier sollten keine Energien zur Lösungsfindung verschwendet werden. Manche Dinge kann ich selber im Projekt verändern, manche Dinge nur in der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren innerhalb oder auch außerhalb meines Projektes. Ist der Aufwand z. B. für meine Zielgruppe zu groß, sind die Zugangsbarrieren zu groß, dann muss ich evtl. zu meiner Zielgruppe gehen. In Form von Coaching-Angeboten von Inhouse-Schulungen, von aufsuchender Bildungsarbeit, von Methoden des Kiezmanagements, von Methoden der sozialraumbasierten Bildungsarbeit. Dabei ist es aber wichtig, sich seiner Projektziele bewusst zu sein, diese regelmäßig zu reflektieren und ggf. neu zu justieren, aber immer auf der Basis des eigenen Projektselbstverständnisses und der vorhandenen Ressourcen.
Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Sie sprachen davon, dass es zur Zielgruppenbindung weniger Informationen gibt. Was bedeutete das für den Bildungssektor?
Sandra Kleideiter: Ich empfehle hier immer, über den Tellerrand hinaus zu schauen. Auch wenn der Bildungssektor ein eigenständiger professionalisierter Bereich ist, lohnt es sich auf andere Professionen zu schauen und von denen zu lernen bzw. Teilaspekte auf den Bildungssektor zu übertragen. Für die Zielgruppenbindung ist hier die Wirtschaft mit seinem Marketing und der Kundenbindung spannend. Oder man schaut auf die Verbände und Parteien, die mit der Mitgliederbindung zu kämpfen haben. Die Aspekte lassen sich nicht eins zu eins übertragen, aber einzelne Erfolgsfaktoren aus diesen und anderen Bereichen gilt es für unseren Bildungsbereich nutzbar und umsetzbar zu machen. Dazu sind Think-tanks, also Denkfabriken und kreative Kooperationen hilfreich und spannend.
Qualitätswerkstatt Modellprojekte: Herzlichen Dank für das Gespräch.